die St. Georger Erklärung

Stellungnahme der Schura zur Kopftuchverbotsdebatte

Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages befasste sich bereits vor der Forderung eines Verbotes der NRW-Landesregierung mit der rechtlichen Zulässigkeit eines Kopftuchverbotes für Schülerinnen und führte am 26.01.2017 aus, dass das Tragen einer islamischen Kopfbedeckung in die Schutzbereiche der Religionsfreiheit und des religiösen Erziehungsrechts der Eltern fällt.

Ein Kopftuchverbot für Schülerinnen ignoriert demnach Artikel 6 und Artikel 4 des Grundgesetzes. Es stellt einen massiven Eingriff in die Religionsfreiheit und in das Elternrecht dar, der verfassungsrechtlich nicht zulässig wäre, was auch das Rechtsgutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages bereits bestätigt hatte.

„Es ist bemerkenswert, dass dies von einigen Politikern jetzt ignoriert wird und sie Sonderregelungen für Muslime einfordern lässt. Ein Kopftuchverbot für Schülerinnen müsste konsequenterweise mit einem Verbot für das Tragen sämtlicher religiöser Symbole einhergehen und würde z.B. auch Halsketten mit Kreuzen, Turbane der Sikhs oder Kippas betreffen.“, äußert Daniel Abdin, der Vorsitzende der Schura.

„Islamrechtlich ist ein vorpubertäres Tragen des Kopftuches nicht verpflichtend und auch das Tragen eines Kopftuches aus Zwang ist untersagt.“, so der Theologe und Vorsitzender der Schura Reza Ramezani.

Die Bildungsreferentin Özlem Nas bemerkt: „Es gibt keine wissenschaftliche Studie zu diesem Thema, die uns valide Zahlen und Fakten über die Situation in Kitas und Grundschulen liefert. Auch können diejenigen, die ein solches Verbot einfordern, keine validen Quellen nennen, aus denen die Notwendigkeit für eine Verbotsforderung oder ein Beleg für eine angenommene Kindeswohlgefährdung herleitbar wäre, was wiederum nicht nur rechtlich, sondern auch wissenschaftlich aufzeigt, wie grenzwertig diese Debatte ist. Als muslimische Frau empfinde ich die ständige Fokussierung auf das islamische Kopftuch und die hysterisch aufgeladene Debatte, welche auf dem Rücken der muslimischen Mädchen und Frauen ausgeführt wird als äußerst ermüdend und besorgniserregend. Die Debatte gießt Öl in das Feuer einer ohnehin aufgeheizten Grundstimmung, der wir als Muslime innerhalb der Gesellschaft immer öfter begegnen, wenn es um das Thema „Islam“ geht. Der problemorientierte, defizitäre Blick auf Musliminnen mit Kopftuch stellt in Kombination mit Chancenungerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt, Diskriminierungen im Alltag, Zuschreibungen und Unterstellungen der nicht vorhandenen Emanzipation und Selbstbestimmung eine zunehmend höhere Belastung für viele Musliminnen mit Kopftuch dar.“

Özlem Nas gibt zu bedenken: „Schura erreichen Meldungen von Eltern, die beinhalten, dass Lehrkräfte vermehrt Druck auf muslimische Schülerinnen ausüben, damit diese ihr Kopftuch abzulegen. Ein Zwang sowie ein Verbot sind Maßnahmen, die auch aus pädagogischer Perspektive kontraproduktiv sind. Sie sind gleichermaßen belastend für die Schülerinnen und können sie in Konflikt mit ihrer religiösen Identität sowie der religiösen Praxis in ihrem Elternhaus bringen. SchülerInnen finden sich oftmals in einem Rechtfertigungszwang wieder und werden auch in Schulen zunehmend in eine Expertenposition für ihre Religion gedrängt. Der Austausch mit Lehrkräften, Eltern und SchülerInnen, bei dem das Wohl der SchülerInnen im Zentrum steht und das Elternrecht sowie die Religionsfreiheit respektiert werden und SchülerInnen nicht als Experten für Religion, sondern als Experten für ihre jeweils eigene Religiosität betrachtet werden, ist sehr viel zielführender als Scheindebatten, die nicht differenziert und sachlich geführt werden und auch geltendes Recht sowie vorhandene oder eben nicht vorhandene wissenschaftliche Erkenntnisse außer Acht lassen.“

Besorgniserregend ist auch, dass diese Phantomdebatten insbesondere Rechtspopulisten sowie Extremisten in die Hand spielen. Mit Sorge betrachtet SCHURA, dass kleine extremistische Gruppen die Kopftuchverbotsdebatte und die damit bei Muslimen ausgelösten Verunsicherungen benutzten, um gerade junge Muslime gegen die deutsche Gesellschaft insgesamt aufzustacheln. „Das scheint in der Politik nicht gesehen zu werden oder den Betreffenden ist es egal.“ Auf fatale Weise würden sich so islamfeindlicher Populismus und extremistisch-religiöse Gruppen immer wieder die Bälle zu spielen.

Wie zielführend sind also solche Debatten, die von verschiedenen Politikern angestoßen werden, wie kommen sie bei den muslimischen Bürgern der Bundesrepublik Deutschland an und was wollen sie damit erreichen?

Für muslimische Mädchen und Frauen mit Kopftuch sind Ausgrenzungserfahrungen, Diskriminierung, Stigmatisierung und verbale sowie körperliche Anfeindungen Teil ihrer Lebenswelt in unserer Gesellschaft. In einer von Schura, Bündnis Islamischer Gemeinden und dem Institut für konstruktive Konfliktaustragung und Mediation im Oktober 2016 durchgeführten Umfrage zu verbaler und körperlicher Gewalt gegenüber Frauen mit Kopftuch in Hamburg, gaben mehr als 1/3 der Befragten an, einmal im Monat oder häufiger verbalen Angriffen aufgrund ihres Kopftuches ausgesetzt zu sein. 10,4% der Befragten äußerten, dass sie aufgrund ihres Kopftuches bereits körperlich angegriffen wurden. Schura steht ein gegen Gewalt an allen Frauen und hat in diesem Sinne die St. Georger Erklärung im Juni 2017 mitverfasst und mit seinen St. Georger Mitgliedsgemeinden unterzeichnet:

die St. Georger Erklärung

Amtliche Statistiken unterstreichen, dass gewalttätige Übergriffe auf Muslime und Moscheen kein Randphänomen in Deutschland sind. Durch die nun erneut angestoßene Debatte mit dem Fokus auf das islamische Kopftuch, ist zu befürchten, dass sich die Stimmung innerhalb der Gesellschaft weiter aufheizt und Musliminnen in Deutschland vermehrt zur Zielscheibe einer sich immer stärker und häufiger entladenden Islamfeindlichkeit werden und ihre berufliche Entfaltungsfreiheit sowie ihre alltägliche Sicherheit als gefährdet betrachten. Die religiöse Kopfbedeckung gibt es in allen abrahamischen Religionen und allen sollte derselbe Respekt entgegengebracht werden.

Kein/e Bürger/in sollte in Sorge um ihre/seine Sicherheit oder Existenz aufgrund ihres/seines Aussehens in Deutschland sein. Dies gilt für muslimische Mädchen und Frauen mit Kopftuch ebenso wie für alle anderen Menschen, die Teil unserer multidiversen Gesellschaft sind.

Schura setzt sich ein für ein respektvolles Miteinander und für eine konstruktive Auseinandersetzung bei Konflikten, insbesondere wenn es um Themen geht, die das friedliche Zusammenleben innerhalb einer heterogenen Gesellschaft betreffen. In diesem

Sinne löst die Forderung nach einem Kopftuchverbot, die Sonderbehandlung von Musliminnen, die ignorante Haltung bezüglich Artikel 6 und Artikel 4 des Grundgesetzes innerhalb der Schura ein tiefes Befremden über den Umgang mit Muslimen in Deutschland aus. Schura ruft dazu auf, Muslime in Deutschland aufgrund ihrer Religion nicht einer Sonderbehandlung zu unterziehen sondern rechtskonform mit ihnen umzugehen und ihnen mit demselben Respekt zu begegnen, wie anderen Religionen in Deutschland auch.