SCHURA Hamburg und SCHURA Schleswig-Holstein wenden sich an die Mitgliedsgemeinden: Erinnerung zur Besonnenheit

Sehr geehrte Damen und Herren,

angesichts der jüngsten Ereignisse im Nahen Osten versandten die SCHURA-Hamburg und SCHURA Schleswig-Holstein am 12.10.2023 nachfolgendes Schreiben an ihre Mitgliedsgemeinden.

Erinnerung zur Besonnenheit

Verehrte Geschwister,

wir sind als Gläubige und als Mitglieder von SCHURA-Gemeinden tief erschüttert angesichts des Leids der Menschen im Nahen Osten. Wir ringen um Worte und sind tief bewegt.

Wir wissen, dass   das palästinensische Volk seit vielen Jahren vor Ort unter der Ungerechtigkeit, die durch die israelische Besatzung in Palästina hervorgerufen wird, leidet und wir leiden mit ihnen. Dennoch kann und darf sie nicht als Grund dafür herhalten, unschuldige Zivilisten zu ermorden.  

Die Bilder vom Angriff der Hamas auf israelische Zivilisten lassen nur einen Teil des Leides ermessen, das die Angehörigen der Toten und Entführten jetzt durchmachen. Gleichzeitig gilt unser Mitgefühl allen Palästinensern, die nun unter den Vergeltungsschlägen der israelischen Armee leiden und ebenfalls Tote und Verletzte zu beklagen haben.

In dieser dramatischen Situation, in der wir unseren eigenen Schmerz kaum aushalten können, geht es oftmals über unsere Kräfte, die Schmerzen der anderen zu begreifen und menschliches Leid als solches anzuerkennen. Doch wir erleben es so, dass genau das in großen Teilen der medialen Berichterstattung und der politischen Landschaft gerade von uns gefordert wird. Dabei ergeht häufig der Vorwurf, wir würden die israelischen Opfer nicht anerkennen, sondern nur auf das Leid der Palästinenser verweisen. 

Für viele von uns stehen die Angriffe vom Samstagmorgen in einer langen Geschichte von Unterdrückung und Widerstand gegen die israelische Besatzung. Und ja, es stimmt auch, dass die Tötung von Zivilisten bei diesen Angriffen aus dem Gazastreifen eine Form von Brutalität erreicht hat, die jedes Maß übersteigt. 

Wir vermissen in der medialen Berichterstattung, dass die Komplexität des Konfliktes zu Wort kommt.  Bedauerlicherweise müssen wir feststellen, dass das Leid der Palästinenser aufgerechnet und häufig geradezu bagatellisiert wird. Mit großer Sorge beobachten wir vor allem in den sozialen Medien eine Entmenschlichung von Palästinensern und Aufrufe zur Vernichtung eines ganzen Volkes angeblicher „Bestien“ und „Barbaren“. Das bereitet uns große Sorge und wir rufen dazu auf, auch in der medialen Berichterstattung nicht außer Acht zu lassen, dass die Würde aller Menschen unantastbar ist. 

Wir gehen davon aus, dass es in den kommenden Tagen Kundgebungen mit einem Aufruf zur Solidarität mit Palästina geben wird. Wir wissen um den tiefen Schmerz, der in Euch wohnt, und die Ohnmacht aufgrund des langen Leides und der vielen Ungerechtigkeiten, die Angehörige und Freunde in Palästina erlebt haben und immer wieder neu erleben müssen. Wir ersehnen uns alle Frieden und ein Ende der Gewalt. Doch dafür braucht es Sicherheit und die Anerkennung der Bedürfnisse aller Menschen. Und genau dafür wollen und müssen wir uns immer wieder neu Gehör verschaffen. Damit unsere Wünsche und Forderungen aber gehört und nicht vorschnell als Terrorunterstützung missverstanden werden, möchten wir Euch zu Besonnenheit aufrufen und euch bitten:

  • Bevor an einer Kundgebung teilgenommen wird, ist es wichtig sicherzustellen,  von wem diese Kundgebungen organisiert wurden. Es ist davon auszugehen, dass extremistische Gruppierungen das Leid der Opfer und unser Mitgefühl ausnutzen wollen, um möglichst viele Menschen auf ihre Kundgebungen zu locken. Auf diesen Kundgebungen geht es oft nicht um legitime Ansprüche, sondern um Provokation und radikale Verschärfungen des Konflikts mit noch mehr Leid und Unruhe auch innerhalb der hiesigen Gesellschaft.
  • Wir nehmen Abstand von jeglicher Form der Hassrede.  Wir wissen: Schmerz und Trauer werden nicht weniger, wenn man andere hasst. „Die Juden“ sind ebenso wenig schuld am unsäglichen Leid ziviler Opfer in Gaza wie „die Muslime“. Die Hamas hat die grausamen Massaker an Zivilisten in Israel verübt und die Spirale der Gewalt ein schreckliches Stück weitergedreht. Dieser Konflikt kann nur enden, wenn alle daran arbeiten, diese Spirale zu durchbrechen!  Gleiches darf nicht mit Gleichem vergolten werden. Unser Prophet, alayhi salam, hat uns Gerechtigkeit gelehrt, jedes Stammesdenken und Blutrache abgeschafft. 
  • Wir fragen uns in allem, was wir tun,  ob unsere Taten und Worte der Botschaft  Allahs und dem Vorbild unseres Propheten entsprechen: Dienen sie den Menschen und schaffen sie Frieden oder bezwecken sie das Gegenteil? Wir erinnern uns   an die Aussage des Gottgesandten, alayhi salam, der auf die Frage nach Rechtschaffenheit und Sünde seinem Gefährten Wabisa antwortete : „Befrage Deine Seele, befrage dein Herz, Wabisa! Rechtschaffenheit ist es, die deine Seele und dein Herz versichert. Sünde ist es, die in deiner Seele schwingt und deine Brust einengt; auch wenn die Menschen sie in ihrem Urteil wieder und wieder gutheißen.“ (Sunan Darimi 2533) 

Die schrecklichen Geschehnisse fordern uns alle als Gläubige und als Menschen heraus. Unsere Gedanken und Gebete sind ganz besonders bei allen, die Familie und Verwandte vor Ort haben und um sie bangen. Wir bitten den Allmächtigen und Barmherzigen, der uns durch Abraham, Jesus und Muhammad, Friede auf ihnen, seine göttliche Offenbarung des Friedens und des Neuanfangs geschickt hat: Möge Er den Schmerz der Hinterbliebenen lindern. Möge er Frieden und Gerechtigkeit einkehren lassen, auf das alle Menschen in Ruhe und Sicherheit leben können. 

Unsere Worte und unsere Taten können weder verlorenes Leben zurückbringen noch Wunden heilen. Sie können nur eine Mahnung sein, für ein Ende der Gewalt einzutreten und an einer Zukunft zu arbeiten, in welcher alle Menschen in Deutschland, Nahost und der gesamten Welt ohne Angst leben und in Frieden aufwachsen können.

Wir bitten Allah, unseren barmherzigen Schöpfer, unsere Gebete zu erhören, Amin

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