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DISTANZIERUNG VOM FRAUEN- UND MIGRANTINNENMARSCH

DISTANZIERUNG
VOM FRAUEN- UND MIGRANTINNENMARSCH AM 13. MAI 
2017 IN HAMBURG
von SCHURA Hamburg und Sisters‘ March

Wir Unterzeichnenden dieses Statements stehen ein für eine Welt, in der alle Menschen unabhängig von Geschlechtsidentität, kultureller und sozialer Herkunft, Glaube, Alter, sozialem Status, Beeinträchtigung und sexueller Orientierung uneingeschränkt gleichberechtigt zusammenleben. Für eine Welt ohne Sexismus, sexualisierte Gewalt und Rassismus. Für die Erhaltung unserer demokratischen Grundwerte und eine Gesellschaft, die das Wohl aller im Blick hat.

Deshalb hatten viele von uns selbstverständlich unsere Unterstützung für den »Hamburger Frauen und MigrantInnenmarsch« zugesagt, um » […] mit offenen Herzen, gemeinsam Hand in Hand um die Binnenalster zu marschieren.« [1]
Das am 12.04.2017 vorgelegte Konzept dieser Veranstaltung beinhaltete die Kernthemen Weltoffenheit, Selbstbestimmung, Menschlichkeit, gegenseitiger Respekt, Frieden, Freiheit und Demokratie. Das Rahmenprogramm des Tages rief zur Feier der »Vielfalt der Menschen und Kulturen« auf. [2] All dies sind Werte, mit denen wir uns verbunden fühlen und uns solidarisch zeigen wollten.

Am Donnerstag, dem 04.05.2017, mussten viele der Unterzeichnenden leider umso überraschter feststellen, dass das von ihnen unterzeichnete Konzept und Programm nachträglich und ohne Absprache gravierend geändert worden ist.
Ohne ihr Wissen und Zutun, wurde die Philosophie der Veranstaltung in eine Haltung verdreht, mit der wir uns eindeutig nicht identifizieren können und die zudem klar unseren Prinzipien widerspricht.

Folgende Passage wurde auf der Frauenmarsch-Webseite [3] unter „Die Idee“ hinzugefügt und mittlerweile wieder entfernt (Stand 06.05.2017) [4]:

»Wir wollen Frauen, die aus Angst ein Kopftuch tragen, aufklären. Wir sind der Meinung, dass Verschleierung ein Symbol der Ausgrenzung – in allen ihren Formen sind, vorallem für die Mädchen, die nicht volljährig sind. Wir glauben, dass Emanzipation und Feminismus nicht mit einem Kopftuch vereinbar ist. Kopftuch ist nichts islamisches. Es ist ein historisches Produkt der Patriarchalen Gesellschaft, um Frauen zu kontrollieren. Viele entscheiden sich für das Kopftuch, um in Ruhe gelassen zu werden.«

In einem bevormundenden, belehrenden Ton entmündigen die Veranstaltenden kopftuchtragende Frauen, generalisieren und stigmatisieren diese. Ganz klar: Diese Haltung widerspricht unseren Grundlagen eines toleranten und pluralen Miteinanders in einer offenen, zugewandten Gesellschaft und unserem Anspruch auf Intersektionalität.

Besonders besorgniserregend und erschreckend ist das gesamte Vorgehen: Ohne die unterstützenden Organisationen, von denen sich viele als klar antirassistisch und interreligiös positionieren, zu informieren, wurde dieser intoleranten Haltung eine prominente Bühne im Namen aller geboten.

Als wäre mit diesem Vorgehen nicht schon ein Vertrauensbruch erreicht, mussten wir ebenfalls feststellen, dass beim Frauen- und MigrantInnenmarsch am 13. Mai wissenschaftlich wie politisch umstrittene Personen wie Necla Kelek eine Bühne geboten bekommen – eine prominente Vertreterin von anti-islamischen Weltanschauungen. Necla Kelek ist unter anderem für ihre Unterstützung von Thilo Sarrazins rassistischen Einwanderungs-Thesen [5] bekannt, hat sich diskriminierend im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zur Sexualität von muslimischen Männern geäußert [6] und sorgt mit pseudo-wissenschaftlichem Populismus eher für Desintegration [7].

Wir distanzieren uns ausdrücklich nicht nur von der inzwischen von der Webseite entfernten Formulierung [9], sondern auch von den anfangs als Rednerinnen eingeladenen Personen [10] bzw. von den mit ihnen verbundenen Weltanschauungen und von dem Marsch als solchem.

Zudem fordern wir eine [noch nicht erfolgte] Stellungnahme der veranstaltenden Organisation und wünschen uns eine klare Distanzierung aller, die für eine antirassistische, plurale und tolerante Gesellschaft einstehen.

(Hamburg, 10.05.2017)

 

Wir übernehmen keine Verantwortung für die unterzeichnenden Organisationen und repräsentieren diese nicht.

 

Unterzeichnet von:

Sisters‘ March
SCHURA — Rat Islamischer Gemeinschaften in Hamburg e.V.
Trust The Girls
Der PARITÄTISCHE Wohlfahrtsverband Hamburg e.V.
Jüdische Gemeinde Pinneberg
Integrationspunkt Hamburg IPV gemeinnützige UG
Multikulti Werkstatt e.V.
Stiftung Wohnbrücke Hamburg
Islamische Religionsgemeinschaft DITIB Hamburg und Schleswig-Holstein e.V.
Verband binationaler Familien und Partnerschaften, iaf e.V.
Bündnis Hamburger Flüchtlingsinitiativen (BHFI)
Institut für konstruktive Konfliktaustragung und Mediation
Das interreligiöse Frauennetzwerk Hamburg
Christine Ebeling, Gängeviertel
Junge Islam Konferenz Hamburg (JIK)
Aktivist*innen von Refugees Welcome Karoviertel
BIG Bündnis Islamischer Gemeinden in Norddeutschland e.V.
Muslimische Frauengemeinschaft in Norddeutschland e.V.
Sisters united e.V.
Liberal-Islamischer Bund — Gemeinde Hamburg
Initiative Harburger Muslime
Deutsch-Ahwazischer Kultur Verein
Hazara Kultur Verein e.V. Hamburg

 

[1] Zitat aus der Anfrage, die wir am 12.04.2017 von der Kulturbrücke Hamburg als E-Mail erhalten haben
[2] Pressemitteilung, Kulturbrücke April 2017
[3] https://hamburger-frauenmarsch.jimdo.com/die-idee/
[4] Screenshots durch mehrere Personen liegen uns vor und können auf Nachfrage verschickt werden.
[5] http://www.abendblatt.de/politik/article107844588/Publizistin-Necla-Kelek-verteidigt-Sarrazins-Thesen.html
[6] https://www.youtube.com/watch?v=kYWA-INbTSE Im Interview mit dem ZDF »Forum am Freitag« (ursprünglich publiziert am 16.07.2010): »Die Menschen haben nicht die Fähigkeit, ihre Sexualität zu kontrollieren, und besonders der Mann nicht. Der ist ständig (…) herausgefordert und muss auch der Sexualität nachgehen (…) – und wenn er keine Frau findet, dann eben ein Tier…«
[7] http://www.zeit.de/2006/06/Petition/komplettansicht
[8] am 05.05.2017 von der Frauenmarsch-Webseite entfernt
[9] Als Rednerin ist unter anderem auch Zana Ramadani aufgeführt. In ihrem Buch »Die verschleierte Gefahr« schreibt sie: »Das Kopftuch ist das Leichentuch der freien Gesellschaft“. Pauschalisierende Äußerungen, wie „Eine muslimische Frau, die ein Kopftuch trägt, erhebt sich über andere. Sie sagt damit: Ich bin etwas Besseres als Du.« zeugen von einer Haltung, die unserer Vorstellung von Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt widerspricht. Siehe hierzu auch: https://www.welt.de/vermischtes/article163576969/Zana-Ramadani-glaubt-das-Problem-muslimischer-Maenner-zu-kennen.html