Zum Beginn der 7. Einheitskonferenz zum Thema Islamfeindlichkeit und Rechtspopulismus als Herausforderung für Islam und Demokratie hielt Mustafa Yoldaş die Eröffnungsrede.
Sehr geehrte Damen und Herren,
Liebe Freundinnen und Freunde,
Liebe Schwestern und Brüder,
Verehrte Gäste,
im Namen von SCHURA Hamburg möchte ich Sie zu unserer diesjährigen Einheitskonferenz herzlichst begrüßen. Ich freue mich, dass Sie sich hier am frühen Sonntagmorgen eingefunden haben. Denn es zeigt uns, dass sich das Format dieser Konferenz mittlerweile etabliert hat, mit der wir als Hamburger Muslime ein Forum bieten, in dem nun schon zum siebten Mal offen und kontrovers über ein wichtiges gesellschaftliches Thema diskutiert wird.
Wir müssen immer wieder feststellen, dass es sowohl innerislamisch wie innergesellschaftlich an solchen Debatten fehlt, weshalb dies für uns als SCHURA ein wichtiges Anliegen ist. Wir werden von vielen Muslimen dafür kritisiert, warum wir ausgerechnet denjenigen eine Plattform bieten, die uns in der Öffentlichkeit kritisieren, über uns herziehen oder deren Meinung dem Mainstream-Muslimen diametral entgegen stehen. Als SCHURA sind wir der Meinung, dass wir einerseits soviel Selbstbewusstsein haben, dass wir auch mit divergierenden Meinungen in der muslimischen Community souverän umgehen können und dass es andererseits zu einer demokratischen und offenen Gesellschaft dazu gehört, auch konträre Meinungen innerhalb und außerhalb der eigenen Community zu ertragen, auch wenn man selbst eine andere Auffassung hat.
Eine offene Debatte ist aktuell nötiger denn je. Wir erleben politische Umbrüche und Herausforderungen, lokal wie global, die wir uns noch vor kurzer Zeit in diesem Ausmaß nicht hätten vorstellen können. Es ist noch nicht so lange her, als der amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama das „Ende der Geschichte“ verkündete und liberale Demokratie und Marktwirtschaft als globalen Endzustand postulierte. Sicherlich war diese Haltung schon damals eine mehr als naive Vision unter dem Eindruck des Zusammenbruchs des Ostblocks, scheint sie nun geradezu ad absurdum geführt worden zu sein: In den USA haben wir mit Donald Trump einen Präsidenten, der sich geradezu als Antipode des liberalen Denkens inszeniert. In nahezu allen Ländern Europas sind rechtsnationalistische Bewegungen und Parteien wie der Front National in Frankreich, die FPÖ Österreichs, Wilders Freiheitspartei in den Niederlanden und eben auch die AfD hier in Deutschland zu einer ernsten Herausforderung geworden, weil sie letztlich die plurale Demokratie negieren. Einige dieser Parteien stehen bei Wahlen dieses Jahres vor dem Sprung an die Macht.
Islamfeindlichkeit spielt zentrale Rolle
In der Ideologie dieser sogenannten Rechtspopulisten und bei der Mobilisierung ihrer Anhänger und Wähler spielt Islamfeindlichkeit und Migrantenfeindlichkeit eine ganz zentrale Rolle. Ideologisch agiert man mit der Vision einer national homogenen Gesellschaft, die es zwar so nie gegeben hat und vor allem nie geben wird, die sich aber demagogisch gegen Flüchtlinge und Muslime in Stellung bringen lässt. Muslime werden so als „Fremdkörper“ der Gesellschaft diffamiert, deren Rechte weitgehend eingeschränkt und deren sichtbare religiöse Zeichen am liebsten aus der Gesellschaft verbannt gehören. Dies ist eine Entwicklung, die bei uns Muslimen große Sorgen auslöst, zumal wir Veränderungen des gesellschaftlichen Klimas schon jetzt direkt zu spüren bekommen: Erschreckend viele Menschen nehmen an rassistischen und islamfeindlichen Aufmärschen teil. Offene Hetze gegen Geflüchtete und Muslime durchdringt die Öffentlichkeit. Als muslimisch erkennbare Frauen sind in der Öffentlichkeit Objekt von Übergriffen von Pöbeleien bis zu körperlicher Gewalt. Es gibt anhaltend hohe Zahlen von fremden- und islamfeindlich motivierten Angriffen auf Flüchtlingsheime und Moscheen. Bei Moscheen sind dies nach einer Recherche der Grünen-Bundestagsfraktion allein in 2016, 54 Angriffe von Schmierereien bis zum Sprengstoffanschlag gewesen.
Wir müssen dabei eines verstehen: Es geht hier nicht allein um den Islam, sondern vielmehr um die Demokratie und die Offenheit unserer Gesellschaft. Wer Muslimen ihre Rechte entziehen und ausgrenzen will, wird dies auch mit anderen gesellschaftlichen Gruppen tun, die nicht in sein rechtes Weltbild passen. Unter dem Vorwand der „Islamkritik“ wollen Rechtsnationalisten Gesellschaft und Rechtsordnung verändern.
Der Kampf um die Grundrechte aller
Gerade dieser Punkt muss auch von uns Muslimen verstanden werden. Wir können nicht nur unsere Religionsfreiheit wie ein Banner vor uns hertragen, wir können nicht nur unsere eigene Diskriminierung anklagen. Vielmehr müssen wir generell für Grundrechte eintreten und gegen Unrecht, Ausgrenzung und Diskriminierung anderer Personen und Gruppen, wen auch immer es treffen mag. Wir müssen den Islam hier verankern als Teil eines demokratischen Wertesystems und dies nicht in Form oberflächlicher Bekenntnisse, sondern theologischer und glaubwürdiger Fundierungen.
Eigentlich ist dies für uns nichts Neues. Immerhin haben wir als SCHURA schon 2004 ein Grundsatzpapier veröffentlicht, in dem wir uns genau mit diesen Fragen auseinandergesetzt und uns klar und unmissverständlich zu den demokratischen Grundwerten dieser Gesellschaft bekannt haben.
„Wir begreifen diese Notwendigkeit auch vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte: Die nationalsozialistische Diktatur und die Verfolgung und Vernichtung der Juden und anderer Minderheiten haben gezeigt, dass Minderheiten nur dann sicher leben können, wenn der Bestand einer demokratischen Rechtsordnung gewährleistet ist und die Gesellschaft insgesamt unterdrückerischen Ideologien wie Rassismus, Antisemitismus und Islamophobie in jeder Form entschlossen entgegentritt.“
Unsere Haltung als SCHURA gegen jede Form von Antisemitismus ist immer eine prinzipielle. Davon zeugt unsere vertrauensvolle Arbeit mit Vertretern der jüdischen Gemeinde auf zahlreichen Ebenen, ob im Interreligiösen Forum Hamburg oder im Rahmen des „Religionsunterrichts für alle“. Ich betone dies hier noch einmal ausdrücklich aufgrund einiger Debatten in letzter Zeit, die insbesondere diese Moschee betreffen, bei der wir zu Gast sind. Und es ist nicht nur ein Bekenntnis, sondern ein Teil unserer Bildungsarbeit, etwa wenn wir mit unseren Imamen und Gemeindevorständen die KZ-Gedenkstätte Neuengamme besuchen oder nach Ausschwitz fahren. Die gesellschaftspolitische Positionierung von SCHURA ist also immer eindeutig gewesen und es ist völlig absurd, dies in Frage stellen zu wollen.
Islamische Identität verfestigen
Und es ist auch unser Ziel, den Menschen in unseren Gemeinden eine in dieser Gesellschaft verwurzelte islamische Identität zu vermitteln. Dies ergibt sich schon aus unserer Struktur als SCHURA: Wir sehen uns als eine Religionsgemeinschaft in Deutschland, die Muslime unterschiedlichster Herkunft und Sunniten wie Schiiten unter ihrem Dach vereint. Dies ist nicht nur hier in Hamburg so, sondern auch bei den SCHURA-Verbänden in Niedersachsen, Bremen, Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz wie auch entsprechenden Verbänden in Hessen, Baden-Württemberg und Berlin. Wir arbeiten in der „Konferenz der Islamischen Landesverbände“ zusammen und bemühen uns um eine von nationalen Herkunftsidentitäten losgelöste religionsgemeinschaftliche Organisierung von Muslimen in Deutschland.
Natürlich berühren uns dabei die gegenwärtigen zahlreichen Konflikte und Krisen in diversen Herkunftsländern und stellen auch eine Herausforderung dar. Wir haben erlebt, wie der sogenannte „Arabische Frühling“ nicht Freiheit und Demokratie brachte, sondern Krieg und Instabilität nahezu in allen betreffenden arabischen Staaten: in Bahrain wurde er mit saudischen Panzern deutscher Produktion niedergewalzt, in Ägypten mündete er in eine neue Diktatur, in Libyen ins reinste Chaos und in Syrien und Jemen führte er in einen furchtbaren Krieg.
Auch in der Türkei hatten wir über eine Dekade hinweg hoffnungsvolle Entwicklungen hin zu mehr Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, zu wirtschaftlichem Wohlstand, zu regionaler Stabilität und Sicherheit sowie zu einem Ende der Gewalt zwischen Staat und PKK. All dies scheint sich nun in sein Gegenteil zu verkehren und wir mussten im Sommer einen blutigen Putschversuch erleben und über Monate eine Abfolge furchtbarer Terroranschläge.
Über diese Krisen sind die Gesellschaften dort polarisiert und diese politischen Polarisierungen spiegeln sich natürlich auch bei den Menschen in unseren Gemeinden wieder. So haben wir etwa in der SCHURA türkische und kurdische Gemeinden und Menschen, die die AKP gewählt haben genauso wie HDP-Wähler. Im Falle von Syrien scheiden sich häufig auch die Geister unter den Sunniten und Schiiten. Aber als SCHURA sagen wir ganz deutlich: Wir können die Konflikte unserer Herkunftsgesellschaften nicht hierzulande lösen, sondern wir sind Muslime in Deutschland, hier sind wir alle gemeinsam mit den gleichen Herausforderungen konfrontiert, wir sitzen im selben Boot.
Ich möchte aber deutlich sagen: Ob ein Islam in Deutschland gelingt, hängt auch entscheidend von der weiteren politischen Entwicklung in Deutschland ab. Eine Gesellschaft, welche Muslime ausgrenzt und abwertet, welche den Islam und auch die islamischen Religionsgemeinschaften nicht als gleichberechtigten Partner akzeptiert, wird keinen Raum geben zur Etablierung einer islamischen Identität in Deutschland. Im Gegenteil würden sich viele Muslime fragen, ob und welchen Platz sie in diesem Land noch haben. Wenn der Islam zu Deutschland gehört, dann gehören auch wir Muslime dazu. Jeder Relativierungsversuch ist Ausdruck einer schizophrenen Geisteshaltung.
Klare Kante gegen Rechtspopulismus
Was wir deshalb von den demokratischen Parteien und der demokratischen Zivilgesellschaft erwarten, ist eine klare Abgrenzung gegen jegliche populistische Versuchung. Hier muss eine klare Linie gezogen werden. Man kann fremdenfeindlichen Ressentiments und Rassismus nicht dadurch Tribut zollen, indem man sagt, man müsse „die Sorgen des kleinen Mannes“ ernst nehmen und entsprechende populistische Entscheidungen treffen. Denn solch eine Politik geht immer auf Kosten von Minderheiten, in diesem Fall der muslimischen. Wenn Sorgen ernst nehmen, dann von allen Menschen. Die Reife und Stabilität einer demokratischen Gesellschaft zeigt sich besonders in Situationen mit unerwarteten gesellschaftlichen Herausforderungen wie etwa bei der Ankunft vieler Geflüchteter im vorletzten Jahr oder die wirtschaftliche Stagnation 2008/2009. Die Stellschrauben einer demokratischen Gesellschaft können nicht gelockert werden, um die Gunst einer sich vorgeblich existenziell bedroht fühlenden und völkisch denkenden Gruppe zu erlangen. Diese Gruppen ändern ihre Meinung über andere Minderheiten wie die Muslime auch dann nicht, wenn die Wirtschaft prosperiert und es weniger Zuwanderung gäbe.
Wir müssen hier gemeinsam handeln und deutlich machen, dass eine demokratische und pluralistische Gesellschaft, in der die Vielfalt an Meinungen und Lebensstilen eine zentrale Errungenschaft ist, nicht zur Disposition steht. Wir dürfen nicht zulassen, dass Menschen gegeneinander ausgespielt werden, sondern wir gemeinsam einstehen für Solidarität, Zusammenhalt und ein besseres Leben für alle. Für ein solches Deutschland sollten wir Visionen entwickeln und wir Muslime sind aufgefordert, unsere religiösen, sozialen und intellektuellen Ressourcen hier einzubringen.
Vielen Dank!