Seit nahezu fünf Jahren besteht in Hamburg der Staatsvertrag mit den islamischen Religionsgemeinschaften. Am 07.04. führte SCHURA im Rudolf-Steiner-Haus eine Tagung durch, um eine Zwischenbilanz zu ziehen und über künftige Perspektiven zu sprechen.
Zunächst begrüßte SCHURA-Vorsitzender Daniel Abdin die Gäste und nahm eine Bewertung der wichtigsten Entwicklungen aus Sicht von SCHURA vor: Er wies darauf hin, dass seinerzeit hinter dem Staatsvertrag eine große politische und gesellschaftliche Zustimmung stand. Die seitdem eingetretene Änderung des gesellschaftlichen Klimas zeige sich im Aufkommen des Rechtspopulismus und der AfD. Diese hätten Islamfeindlichkeit zu ihrem zentralen Programmpunkt gemacht. Leider verhielten sich Politiker der Mitte dem gegenüber immer wieder opportunistisch – wie jetzt Bundesinnenminister Seehofer mit seinem Statement, der Islam gehöre nicht zu Deutschland – und bestärkten dadurch die Rechtsradikalen. Angesichts dessen müssten alle offensiv dazu stehen, was im Staatsvertrag als Wertegrundlagen festgeschrieben sei: Menschenwürde, Grundrechte, Völkerverständigung und Toleranz. Daniel Abdin verwies schließlich darauf, dass in den letzten Jahren in der Zusammenarbeit zwischen Stadt, Zivilgesellschaft und islamischen Religionsgemeinschaften in vielen Bereichen positives geleistet worden sei: Der Religionsunterricht für alle, Seelsorge in Gefängnissen und Krankenhäusern, das Präventionsnetzwerk gegen religiösen Extremismus und Muslimfeindlichkeit, die Unterstützung für Geflüchtete. An gemeinsamen Werten festhaltend und die praktische Zusammenarbeit ausbauend würde man eine gute Perspektive auch zur Fortentwicklung des Staatsvertrages sehen.
In seinem Redebeitrag für den Hamburger Senat wies Staatsrat Dr. Christoph Krupp darauf hin, dass der Staat nicht Religionen anerkenne, sondern die Religionsfreiheit gewährleiste. Das Verhältnis zwischen Staat und Religionsgemeinschaften beruhe auf Kooperation und der Vertrag sei Ausdruck davon. Die Behandlung als Religionsgemeinschaft setze die Erfüllung bestimmter Kriterien voraus, was hier vor Vertragsunterzeichnung durch zwei Gutachten umfänglich geprüft worden sei. Wesentlich dabei sei auch die Unabhängigkeit der Religionsgemeinschaften insbesondere von Beeinflussung durch ausländische Regierungen. Dr. Krupp würdigte positive Wirkungen des Staatsvertrages: Der Religionsunterricht für alle, die Extremismusprävention und das Engagement der Moscheegemeinden für Flüchtlinge nannte er beispielhaft. Dr. Krupp konstatierte jedoch eine Veränderung des gesellschaftlichen Klimas, wodurch die Gegner des Vertrages mehr geworden seien. Dazu hätten auch äußere Ereignisse wie die politischen Entwicklungen in der Türkei beigetragen. Dr. Krupp bewertete die Positionierung von SCHURA in den politischen Konflikten und begrüßte die auf der letzten Mitgliederversammlung verabschiedete Resolution zu Selbstverständnis, Zielen und Tätigkeitsrahmen. Insgesamt müsse der Islam in Hamburg seines Erachtens aber „hanseatischer“ werden. Man dürfe nicht nur in Krisen reagieren, sondern vor allem müssten die Moscheegemeinden zeigen, dass dort Demokratie und Pluralismus aktiv gelebt würden.
Auf dem ersten Podium ging es unter Diskussionsleitung von Canan Bayram um das Thema Schule und Hochschule. Hier ging es zentral um den Hamburger Religionsunterricht für alle. Wie Jochen Bauer von der Schulbehörde betonte, ist hier der Staatsvertrag nicht nur Symbolik, sondern hat erst die rechtlichen Voraussetzungen dafür geschaffen, dass der Religionsunterricht nun auch von den islamischen Religionsgemeinschaften verantwortet werden kann. Thomas Kärst, persönlicher Referent der Bischöfin, wies darauf hin, dass die gemeinsame Verantwortung des Hamburger Religionsunterrichtes durch die Religionsgemeinschaften der evangelischen Christen, Muslime, Juden und Aleviten nunmehr auch aus Sicht der Nordkirche rechtlich geklärt sei. Prof. Gordon Mitchell stellte den Lehramtsstudiengang an der Akademie der Weltreligionen zur Ausbildung muslimischer Religionslehrer dar. Das Konzept des Religionsunterrichts für alle in Hamburg wurde dabei von allen Beteiligten ausdrücklich positiv bewertet, so auch von Özlem Nas, SCHURA-Vorstandsmitglied und dort zuständig für Bildungsarbeit. Sie stellte dar, dass hier von den islamischen Religionsgemeinschaften umfangreiche Arbeit geleistet worden sei, beispielhaft die Erstellung der Idschaza-Ordnung, welche die Zulassung der Lehrkräfte zum Religionsunterricht durch die Religionsgemeinschaften regelt.
Auf dem Panel soziale Arbeit, Prävention, Seelsorge stellte Moderatorin Charlotte Nendza-Ammar die Frage nach dem persönlichen „Highlight“ der letzten Jahre in die Runde. Sowohl Hassan Ramadan, SCHURA-Vorstandsmitglied zuständig für Soziales, als auch Sidonie Fernau vom Paritätischen Wohlfahrtsverband nannten den Herbst 2015, als Tausende Geflüchtete nach Hamburg kamen. Hier seien Moscheegemeinden ein wichtiger Pfeiler in Hilfsnetzwerken zwischen Behörden und Zivilgesellschaft gewesen. Viele Moscheegemeinden, von denen einige schon vorher die Lampedusa-Flüchtlinge unterstützt hatten, wären durch großes Engagement zu einem wichtigen gesellschaftlichen Akteur geworden. Als ein wichtiger Ausdruck konstruktiver Zusammenarbeit zwischen Behörden, Zivilgesellschaft und islamischen Religionsgemeinschaften wurden von SCHURA-Vorstandsmitglied Abu Ahmed Jakobi und BASFI-Leiterin Petra Lotzkat das Präventionsnetzwerk gegen religiös begründeten Extremismus und Muslimfeindlichkeit genannt. Gerade in der Auseinandersetzung mit gewaltbereitem Salafismus sei die Zusammenarbeit zwischen Behörden und islamischen Religionsgemeinschaften in Hamburg beispielhaft. Hieraus haben sich weitere Projekte ergeben, die sich auch positiv entwickeln wie die Präventionsarbeit in Hamburger Gefängnissen durch muslimische Seelsorger. Dabei betonte Dr. Behnam Said von der Justizbehörde die Selbstverständlichkeit von auch muslimischer Seelsorge in den Haftanstalten. Das Projekt solle auf weitere Haftanstalten ausgeweitet werden. Eine Evaluation werde insgesamt aber noch erfolgen.
Abschließend diskutierten unter der Moderation des Journalisten Reiner Scholz Vertreterinnen und Vertreter von Parteien aus der Bürgerschaft sowie SCHURA-Vorstandsmitglied Norbert Müller über die politische Bewertung von fünf Jahren Staatsvertrag und die weiteren Perspektiven. Eingangs rief Scholz in Erinnerung, dass die Initiative zum Staatsvertrag 2006 von einer Iftar-Veranstaltung in der Centrum-Moschee ausging, als der damalige Bürgermeister Ole von Beust (CDU) eine Forderung des seinerzeitigen Imams und Gemeinde-Vorsitzenden Ramazan Ucar spontan aufgriff und anschließend tatsächlich Vertragsverhandlungen in Gang setzte. Scholz richtete deshalb an CDU-Vertreterin Bettina Machaczek, warum denn jetzt der Eindruck bestehe, die CDU wolle den Vertrag am liebsten wieder gekündigt sehen. Dies dementierte Machaczek ausdrücklich: Man habe lediglich nach diversen Skandalen bei DITIB eine Aussetzung der Vereinbarungen zur kritischen Überprüfung bei diesem Verband verlangt. Grundsätzlich stehe man weiter positiv zum Staatsvertrag und wolle diesen keineswegs kündigen. Die SPD stehe weiterhin grundsätzlich positiv zum Staatsvertrag und werde daran festhalten erklärte deren religionspolitischer Sprecher Ekkehard Wysocki. Es müsse von Vertretern islamischer Religionsgemeinschaften und Gemeinden ein politischer Wertekonsens erwartet werden, der definitiv verletzt sei, wenn etwa die Kriegführung der Türkei in Nordsyrien religiös unterstützt oder an der das Existenzrecht Israels negierende Demonstration zum Berliner Qudstag teilgenommen werde. Auch Anjes Tjarks, Fraktionsvorsitzender der Grünen und damit Vertreter der zweiten Hamburger Regierungspartei, erklärte den Vertrag für alternativlos. Wer den Vertrag abschaffen wolle, müsse schon erklären, wie dann das Verhältnis zum Islam in Hamburg geregelt werden solle. Aber auch er mahnte den Werten des Vertrages entsprechende politische Positionierungen bei Themen wie Türkei-Politik und Qudstag an. Die Fraktionsvorsitzende der Linken, Cansu Özdemir, betonte zunächst den grundsätzlichen Wert von SCHURA als islamischer Religionsgemeinschaft: Dass hier Sunniten und Schiiten wie Gemeinden unterschiedlicher Herkunft zusammen wirkten, sei bundesweit beispielgebend und müsse unterstützt werden. Ferner betonte sie die positive Zusammenarbeit in verschiedenen Bereichen, wobei sie das Engagement gegen Salafismus besonders hervorhob. Man werde deshalb am Staatsvertrag festhalten. Für SCHURA wünschte sie mehr Präsenz von Frauen. Norbert Müller resümierte einen breiten Konsens für den Staatsvertrag und die Fortsetzung der bisherigen Arbeit. Die Gefahr sieht Müller vor allem darin, dass Rechtspopulisten beim Thema Islam immer wieder die politische Agenda bestimmen könnten. Dies werde ihnen auch dadurch erleichtert, wenn Politiker der Mitte hier schnell opportunistische Haltungen einnehmen wie Bundesinnenminister Seehofer mit seinem Statement, der Islam gehöre nicht so Deutschland. Dies könne das gesellschaftliche Klima nachhaltig verändern. Deshalb sei es wichtig, dass sich sowohl Politik als auch islamische Religionsgemeinschaften klar zu den Werten von Demokratie und Pluralismus verhalten und dies auch gemeinsam nach Außen vertreten. Dafür sehe er aber in Hamburg eine gute Basis.