Vortrag am 15.9.2016 in Hamburg, aus Anlass des Opferfestes in der Bosnischen Moschee
Europa befindet sich in einer Krise, die auch die deutsche Gesellschaft erfasst hat. Die Angst vor der Völkerwanderung aus Bürgerkriegsflüchtlingen und Migranten, die aus schierer existentieller Not kommen, die Beschwörung der Gefahr, die angeblich von Zuwanderern überhaupt und vom Islam besonders ausgeht, ist Bestandteil des Alltags geworden. Die Reizvokabeln der Ideologen finden den Nährboden in existenziellen Ängsten. Die Adressaten sind resistent gegen rationale Argumente, denn Bedrohungsszenarien und Verschwörungsfantasien sind wirkungsvoller als Vernunft und Logik. Die Rezepte der Ausgrenzung, mit denen im 19. Jahrhundert Demagogen ähnlichen Herausforderungen zu begegnen versuchten, haben in die Katastrophen des 20. Jahrhunderts geführt. Sie heute wieder zu verwenden gegen andere Minderheiten anstelle der Juden wäre fatal. Denn es geht nicht nur um die Menschen- und Bürgerrechte von Minderheiten, sondern um die demokratische deutsche Gesellschaft, die aus der Erfahrung nationalsozialistischer Diktatur gegründet wurde, in der Toleranz die zentrale Tugend ist.
Die öffentliche Vergewisserung einer Gemeinschaft über ihre Werte, über Demokratie und Toleranz, die Verständigung gegen Ausgrenzung und Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer Herkunft, Religion, Kultur, Armut, Hautfarbe ist notwendig. Denn mit der Stigmatisierung und Ausgrenzung von Minderheiten beginnt, was im Völkermord endet. Hass löst keine Probleme, sondern schafft größere, als die, die man durch Abwehr und Feindschaft zu lösen glaubt. Das gilt auch angesichts der Flüchtlinge, die derzeit bei uns Schutz und Hilfe suchen. Das Gedenken an Auschwitz muss die Erinnerung an die Flüchtlingsströme einschließen, die der Nationalsozialismus in Bewegung setzte, erst durch die Vertreibung politisch Andersdenkender, dann der Juden, schließlich im Exodus der zwölf Millionen Heimatvertriebenen, die als Folge nationalsozialistischer Herrschaft nach 1945 verjagt wurden und im kleiner gewordenen Deutschland aufgenommen wurden.
Wir erinnern uns an das Schicksal der Flüchtlinge aus Nazideutschland, an die Demokraten und anderen politischen Gegner Hitlers, die ins Exil gejagt wurden. Wir erinnern uns an die deutschen Juden, wenn wir heute Flüchtlinge willkommen heißen und friedlich in einer multikulturellen demokratischen Gesellschaft zusammenleben wollen. Der Islam gehört zu Deutschland, das ist längst eine Tatsache, die nicht diskutiert werden muss.
Im Frühjahr 2013 entstand als Reflex auf die Euro-Krise eine neue bürgerliche Partei rechts des etablierten Spektrums, die „Alternative für Deutschland (AfD)“. Mit beträchtlichem Erfolg bündelte sie Protestpotenzial gegen den Euro und gegen Brüssel, sie gewann Anhänger mit dem populistisch intonierten Sehnen nach der Wiederkehr des Nationalstaats. Im Herbst 2013 verfehlte die „Alternative für Deutschland“ ganz knapp den Einzug in den Bundestag. Mit dem Plädoyer gegen Zuwanderung und zur Bewahrung „abendländischer Kultur“, mit Feindseligkeit gegen Muslime und Parolen gegen eine als bürgerfeindliche Schimäre denunzierte „political correctness“ zog die AfD ins Europaparlament und dann in die Landtage von Thüringen und Brandenburg. Jetzt ist sie auch in Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz parlamentarisch präsent.
Zur veränderten politischen Szenerie in Deutschland gehört die Türöffner-Funktion der auf Demagogie basierenden randständigen rechten Gruppierungen für den Rechtsextremismus. Das zeigt die skurrile Dresdner Bewegung Pegida, die es schafft, ohne politisches Programm und ohne überzeugendes Personal tausende Missmutige auf die Straße zu bringen. Wutmenschen demonstrieren montäglich gegen die Idee der Toleranz, offenbaren ein krudes Weltbild aus Rassismus, Fremdenhass und Zorn gegen „Obrigkeit“, zeigen sich als frustrierte Underdogs, die sich von politischer Partizipation ausgeschlossen fühlen, weil sie das System der repräsentativen Demokratie nicht verstehen wollen und die Möglichkeiten politischer Teilhabe, die geboten sind, verschmähen und verachten.
Das auftrumpfende Unbehagen, das die „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes (Pegida)“ unter der geklauten Parole „Wir sind das Volk“ demonstrieren, hatte außer dem Missmut über komplexe und schwer verständliche politische Strukturen ursprünglich kein Programm. Verschwörungsphantasien lenken die Wut gegen Politiker und Bürokraten, beschwören Argwohn gegen die Medien. Die Probleme Europas und die Realität der Globalisierung erzeugen den Wunsch nach nationalstaatlicher Wärme und Geborgenheit, das bedeutet aber auch Ausgrenzung und Abwehr von Fremden. Als gemeinsamer Nenner gefühlter Ängste und plagender Sorgen dient das Feindbild Islam. Demagogen, Scharfmacher hantieren mit den Versatzstücken rechter Ideologie, predigen Fremdenhass, Islamfeindschaft und Nationalismus, sie bedienen damit Existenzängste und Frustrationen ihrer ratlosen Klientel.
Die Politik hätte früher und entschiedener reagieren müssen. Das Pamphlet des Sozialdemokraten Sarrazin hat die SPD leider nicht so irritiert, dass sie ihn für sein sozialdarwinistisches, völkisches, muslimfeindliches Elaborat „Deutschland schafft sich ab“ aus ihren Reihen ausgeschlossen hätte. Viel zu lange wurde beschönigt, kleingeredet, weggeschaut. Man war vor allem um Streicheleinheiten und Mitleid für die erzürnten Bürger bemüht. Die Haltung, man müsse die Leute dort abholen, wo sie stünden, führte aber dazu, dass die Abholer bei den Protestierenden stehen blieben, trösteten, Verständnis zeigten und blind sein wollten gegenüber dem rechten Potential, das freudig von Demagogen und Extremisten ausgenutzt wurde.
Am Jahresende 2014 schien dann das Ende der Aufwallung gekommen. Der Pegida-Anführer zeigte im Internet sein wahres Gesicht als Nazi, heuchelte Reue, trat zurück, um wiederzukehren, nachdem das Personal davongelaufen war. Die Teilnehmer der Montagsdemos blieben aus, Wiederbelebungsversuche mit Gastdemagogen wie Geert Wilders hatten weniger Zugkraft als erhofft. Der Flüchtlingsstrom bot der Bewegung dann endlich Ziel und Programm mit konkretem Fremdenhass. Stimuliert von der radikal veränderten und zur rechten Protestpartei mutierten AfD und instrumentalisiert durch die rechtsextreme NPD finden sich die Pegidaleute wieder auf den Straßen, brüllen Hasspredigern Beifall und bestätigen sich gegenseitig in ihrer Abneigung gegen politische Moral und bürgerlichen Anstand. Sie verwahren sich mit gebotener Entrüstung gegen den Vorwurf des Rechtsextremismus, betreiben aber in dumpfer Wut dessen Geschäft.
Die Pegidagefolgschaft und die Wähler der AfD legen Wert auf bürgerlichen Habitus und sie wollen sich nicht als rechtsextrem beschimpfen lassen. Begreifen sollten sie aber: Die Lehren aus der Katastrophe des Nationalsozialismus müssen für den Umgang mit allen Minderheiten gelten. „Fremde“ dürfen nicht als Störenfriede spießbürgerlichen Behagens und dumpfpatriotischen Selbstgenügens stigmatisiert werden. Der Pogrom von Rostock-Lichtenhagen im Stress der Wende 1992 war ein Menetekel. Brennende Wohnheime von Asylbewerbern, grölende und gegen verängstigte Flüchtlinge pöbelnde Dorfbewohner wie in Clausnitz, jubelnde Fremdenfeinde in Bautzen, die Feuerwehrleute am Löschen einer brennenden Flüchtlingsunterkunft hindern wollen sind Zeichen einer Menschenfeindlichkeit, die zutiefst erschreckt.
Rechtspopulisten, die sich in Sekten zusammenfinden und wieder auseinanderlaufen, die sich spalten und neue Bünde gründen, sind nicht „das Volk“. Sie sind randständig, bieten dem Rechtsextremismus das Einfallstor und kultivieren die Schmähung des Andersdenkenden, des „Fremden“, des Gegners anstelle von Diskurs, genügen sich in stummer Verweigerung, statt Argumente auszutauschen und pflegen Gemeinsamkeit durch Hasstiraden. Die Abwesenheit jeder konstruktiven Idee ist ersetzt durch stumpfes Bramabarsieren und Wutgeheul. Für Pegida-Mitläufer wie für Anhänger der „Alternative für Deutschland“ und ähnliche Gruppierungen im bürgerlichen Gewand, die sich nicht als Rechtsradikale verstehen und die nicht Neonazis genannt werden wollen, gilt aber: Mit Hassparolen wird man kriminell, Volksverhetzung, Beleidigung, Rassismus ist nicht Politik.
Was bedeuten die Erfolge der „Alternative für Deutschland“? Sind sie ein Sieg der irrationalen Verweigerer? Bedeuten sie einen Rechtsruck in Deutschland? Leiten sie den Rückzug in die chauvinistische, nationalstaatliche vermeintliche Idylle ein? Die AfD hat sich nach dem Verlust ihres wirtschaftsliberalen Flügels radikalisiert, dem professoralen Gründer folgte eine Parteichefin im Habitus der Domina, die ihre Gefolgschaft beherrscht, Parolen ausgibt, Sprachregelungen verkündet, die politischen Inhalt (über den Zorn gegen Zuwanderer hinaus) ersetzen.
Man fragt sich, was die vielen neuen Mandatsträger in den drei Landtagen von Baden-Württemberg (23 = 15,1%), Sachsen-Anhalt (24 = 24,2%) und Rheinland-Pfalz (14 = 12,6 %) künftig bewegen wollen. Bislang haben sie in Thüringen vor allem chauvinistische und völkische und in Brandenburg nationalkonservative Phrasen gedroschen und demonstriert, dass sie gegen alles sind, was sie als Obrigkeit, System und Establishment empfinden. Inzwischen haben sich auch Antisemiten in der AfD zu Wort gemeldet. Das einigende Band der Wähler ist Islamfeindschaft.
Wenn eine Umfrage ergibt, dass 80% der Deutschen den Islam als „fanatische und gewalttätige Religion“ sehen, dann beruht diese Erkenntnis nicht auf der Beschäftigung mit Inhalten und Lehrmeinungen, nicht auf Kenntnis von Koran und Sunna, nicht auf dem Studium von Geschichte und Kultur des Islam. Die Umfrage spiegelt vielmehr Angst und Ratlosigkeit, stimuliert durch Ressentiments, deren Tradition weit zurückreicht.
Feindschaft gegen den Islam argumentiert, ebenso wie der Antisemitismus, seit dem Mittelalter mit schlichten Thesen der Abwehr, die durch Koran-Polemik Religion und Kultur des Islam als inhuman denunzieren und durch kulturrassistische Postulate den Muslimen generell negative Eigenschaften zusprechen. Der aktuelle angebliche „islamkritische“ Diskurs hat erhebliche fremdenfeindliche Züge, bedient Überfremdungsängste, argumentiert durchgängig mit religiösen Vorbehalten, die seltsamerweise in den säkularisierten Gesellschaften Europas mit großem Ernst vorgetragen und nachempfunden werden. Die Vorstellungen von Despotie, immanenter Gewaltbereitschaft, verbreiteter Bildungsunlust werden scheinbar bekräftigt durch Verweise auf aktuellen Terrorismus durch Islamisten und auf Unrechtsregime, die durch Terror im Inneren und Drohungen nach außen diskreditiert sind. Islamfeindschaft strebt danach, die übergroße Mehrheit der Muslime mit einer winzigen Minderheit fanatischer Dschihadisten gleichzusetzen, also mit denen, die Religion missbrauchen und kriminell sind. Die Deutschen verwahren sich zu Recht dagegen, pauschal als Nazis oder deren Nachkommen denunziert zu werden. Sie sollten dieses Recht auch den Muslimen zubilligen und die gegebene und gelebte Distanz der muslimischen Mehrheit achten, mindestens aber wahrnehmen, ohne sie ständig zur Distanzierung aufzufordern. Niemand kommt, um ein drastisches Beispiel zu wählen, doch auf die Idee, jeder Katholik müsse sich ständig von der unanständigen kleinen Minderheit katholischer Priester distanzieren, die sich des Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen schuldig macht.
Die Strategie des islamfeindlichen Diskurses zielt dahin, den „Islam“ als Einheit erscheinen zu lassen, für die islamistischer Terror typisch sein soll. Überfremdungsängste, wurzelnd in der Furcht vor als „anders“, „fremd“, damit als unverträglich mit dem Eigenen und bedrohlich für das Eigene definierter Wahrnehmung sind sozialpsychologisch erklärbar, sie haben eine lange Tradition mit wechselnden Objekten der Abneigung und Ausgrenzung. Die Stereotypen in der Wahrnehmung von Minderheiten dienen der Selbstvergewisserung der Mehrheit und der Festschreibung des niedrigen sozialen Status der jeweiligen Minorität. Das darin gestaute Konfliktpotenzial ist erheblich und bedeutet für das Zusammenleben der Menschen in einer komplexen Gesellschaft eine latente Bedrohung. Der Diskurs auf Augenhöhe, die vernünftige und notwendige Haltung im Umgang miteinander, wird mit Absicht vermieden, denn die als negativ empfundenen Eigenarten der „Anderen“, kulturell, ethnisch, religiös oder wie auch immer definiert, dienen der Hebung des eigenen Selbstbewusstseins und fixieren es durch die Gewissheit, dass die Fremden nicht integrationsfähig oder assimilationsbereit oder von ihrer Konstitution her kriminell, asozial und aggressiv sind bis hin zu Verschwörungsphantasien, nach denen eine Minderheit – einst die Juden, jetzt die Muslime – die Herrschaft über die Mehrheit erstrebt.
In der Geschichte der Judenfeindschaft ist die stereotype Vermutung seit Jahrhunderten verbreitet und wird immer wieder reproduziert, nach der „die Juden“ zu viel Einfluss in der Finanzwelt oder in der Kultur oder in den Medien oder sonstwo, wahrscheinlich sogar in allen Bereichen von Staat und Gesellschaft hätten und dass sie diesen Einfluss zum Schaden der Mehrheit, aber zum eigenen Nutzen, unablässig ausübten. Muslimfeindschaft hat ähnliche Stereotypen wie das Streben nach Vorherrschaft, nach Eroberung und Überwältigung mit dem Ziel der Dominanz des Islam über Europa. Mindestens einmal pro Woche äußert sich der Hass gegen den Islam in einer Attacke gegen eine Moschee. Die Motive sind eindeutig der politischen Rechten zuzuordnen, unmittelbarer Anlass ist oft die Hetze in der Blogger-Szene im Internet. Aber wer gibt die Parolen aus, wer schürt die irrationalen Ängste, bewegt Emotionen und macht Panik?
Der sensationelle Erfolg eines Buches mit dem Titel „Deutschland schafft sich ab“ ist ein Symptom für die Emotionen, die in Deutschland von der Mehrheit der Minderheit der Zuwanderer, insbesondere den Muslimen entgegengebracht werden. Das Buch, gespickt mit Tabellen und Statistiken, will beweisen, dass Deutschland ausstirbt bzw. überfremdet wird, weil dumme Muslime mehr Kinder bekommen als kluge Deutsche. Das von Islamfeinden begeistert gelobte Pamphlet Thilo Sarrazins lebt von populistisch vorgetragenem Sozialdarwinismus. Das Buch bedient in der Mehrheitsgesellschaft verbreitete Ängste, nämlich die uralte Furcht vor Überfremdung, die einen Kulturrassismus hervorbringt, der sich gegen unerwünschte Minoritäten richtet.
Die schrillen Schreie der Demagogen öffnen einem aufnahmebereiten Publikum die Ohren für die Botschaft von einer angeblichen „Islamisierung Europas“. Der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders behauptet in verschwörungstheoretischer Diktion: “Überall in Europa führen multikulturelle Eliten einen totalen Krieg gegen ihre eigene Bevölkerung, indem sie die Masseneinwanderung und die Islamisierung fortsetzen, die am Ende zu einem islamisierten Europa ohne Freiheit führt, zu einem Eurabien“. Die dogmatische Behauptung ermangelt jeden Beweises und aller Begründung, die freilich auch nicht möglich wären. Wer sollten die „multikulturellen Eliten“ sein und welches Interesse hätten sie? Die Denunziation des Islam als „faschistische Ideologie von Terroristen“ ist aber wirkungsvoll und ihr Effekt wird durch die Anklage des Urhebers wegen Volksverhetzung und Rassenhass nur verstärkt, weil sie ihn bei seinen Anhängern zum Märtyrer macht.
Feindbilder bedienen verbreitete Sehnsüchte nach schlichter Welterklärung, die durch rigorose Unterscheidung von Gut (das immer für das Eigene steht) und Böse (das stets das Fremde verkörpert) und darauf basierender Ausgrenzung und Schuldzuweisung zu gewinnen ist. Feindbilder, die eine manichäische Welt beschwören, lindern politische und soziale Frustrationen und heben das Selbstgefühl. Feindbilder sind Produkte von Hysterie, sie konstruieren und instrumentalisieren die Zerrbilder über die Anderen. Wenn wir Hysterie als weitverbreitete Verhaltensstörung definieren, die u. a. durch Beeinträchtigung der Wahrnehmung, durch emotionale Labilität, durch theatralischen Gestus und egozentrischen Habitus charakterisiert ist, dann erklären sich Phobien gegen andere Kulturen oder ganz unterschiedliche Minderheiten in der eigenen Gesellschaft als Abwehrreflexe und Posen der Selbstbestätigung.
Muslimfeinde benutzen gerne schlichte Welterklärungen, wie sie Verschwörungstheorien bieten. Das nutzt der Buchautor Udo Ulfkotte für ein düsteres Gemälde, mit dem er eine angeblich bevorstehende „muslimische Weltrevolution“ beschwört. In seinem Buch „Heiliger Krieg in Europa“ schildert er die Bedrohung durch den „zentralen Geheimbund, der mit grenzenlosem Hass und einer langfristigen Strategie die europäische Kultur zu zerstören sucht“. Ulfkotte hat den verschwörerischen Geheimbund in der Muslim-Bruderschaft ausgemacht, die 1982 einen „Masterplan“ zur Eroberung der Welt ausgeheckt habe, der 2001 in der Schweiz bei einer Hausdurchsuchung gefunden worden sei. Dass es die Muslim-Bruderschaft tatsächlich gibt, weiß jeder Zeitungsleser, der Rest entsprang Ulfkottes blühender Phantasie. Er behauptet: „Die Muslim-Bruderschaft hat einen geheimen Plan zur Unterwanderung nichtmuslimischer Staaten.“. Das kann der Autor zwar nicht beweisen, aber Gläubigen genügt die Versicherung ihres jeweiligen Vordenkers, es verhalte sich so, wie er es schildere, egal ob es sich um die antisemitischen „Protokolle der Weisen von Zion“ handelt oder um den Heiligen Krieg Ulfkottes.
Muslimfeinde sind von den gleichen Sorgen getrieben wie einst die Judenfeinde, die Deutschlands Unglück wegen der Zuwanderung von ein paar Tausend Ostjuden am Ende des 19. Jahrhunderts beschworen. Die Furcht vor Überwältigung und Überfremdung begründen sie mit angeblichen Geboten der Religion der vermuteten Aggressoren. In den aktuellen Identitätsdebatten Europas geht es nicht mehr um die Emanzipation von Juden, sondern um die Integration bzw. Abweisung von Muslimen u. a. Zuwanderern. Die Wut, mit der Barrikaden errichtet und Positionen verteidigt werden, ist beträchtlich, die Intonation der Debatten erschreckend, wenn etwa die Verweigerung von Toleranz gegenüber der zu diskriminierenden Minderheit der Muslime als Attitüde der Verteidigung postuliert wird.
Die gefährlichen Wirkungen der Muslimfeindschaft für unsere Demokratie sind inzwischen alltäglich zu beobachten und zu erfahren. Das Ressentiment Fremdenfeindschaft brachte einst die Leitkulturdebatte und dann politische Sekten und Bewegungen hervor. Zehntausende gehen in Dresden und anderswo auf die Straße, um als Komparserie den Hetzparolen dubioser Demagogen folgend die Wut der Bürger darzustellen. Feindschaft gegen den Islam ist der gemeinsame Nenner für viele ihrer Ängste und Obsessionen.
Die Ethnisierung sozialer Probleme gipfelt in einem Kulturrassismus, der an das alte Übel anknüpft, Menschen aufgrund ihrer Herkunft als höher- oder minderwertig zu klassifizieren. Minderheiten sind damit zugleich als Gefahr für die Mehrheit stigmatisiert. Wagenburgmentalität innerhalb der Mehrheitsgesellschaft und das Verlangen, Intoleranz als Tugend zur Abwehr vermeintlicher Gefahren zu kanonisieren, sind Reaktionen der Unsicherheit. Die Botschaft, die populistische Ideologen verbreiten, findet den Nährboden in existenziellen Ängsten der Bürger. Die Adressaten sind resistent gegen rationale Argumente, denn Bedrohungsszenarien und Verschwörungsfantasien sind wirkungsvoller als alle Vernunft und jede Logik.
Hasserfüllte Einheimische demonstrieren derzeit gegen Asylsuchende aus dem Bürgerkrieg. Der Aufruhr engstirniger Bosheit gegen Flüchtlinge ist symptomatisch für den Zustand der Gesellschaft: Etwa 700 Brandanschläge gegen Unterkünfte von Flüchtlingen sind 2015 verübt worden. Die Saat der Ausländerfeinde ist aufgegangen, die Schläger und Brandstifter der NPD und sonstiger rechtsextremer Observanz führen aus, was räsonierender und pöbelnder Mittelstand vor Wohnheimen und auf Pegida-Veranstaltungen intendiert. Die volle Wahrheit ist aber noch viel schlimmer, denn es sind nicht nur Neonazis, die Molotowcocktails in Wohnheime werfen. Der Fremdenhass kommt aus der Mitte der Gesellschaft. Die als europakritische „Alternative für Deutschland“ gegründete Partei wetteifert inzwischen mit der rechtsextremen NPD und präsentiert sich als undemokratische Bewegung gegen Ausländer, gegen Toleranz und Humanität an der Seite von Pegida.
Die Protestgemeinde, die sich unter der Flagge „Islamkritik“ in der Mitte der Gesellschaft rekrutiert, hat durch die Mobilisierung von Ressentiments Brückenfunktion zum Rechtsradikalismus, auch und obwohl sie dies öffentlich vehement bestreitet: Allein die Selbstdarstellung der Wünsche und Abneigungen diffusen Protestes – gegen Fremde, gegen die Eliten in Politik, Gesellschaft, Medien – in den Formen der Stigmatisierung, Denunziation, Ausgrenzung von Minderheiten, ist die Einladung an Extremismus und zur Gewalt und eine Absage an die Demokratie.
Was also ist Populismus und wo geht er in politischen Extremismus über? Angesichts der rassistischen, völkischen, nationalromantischen und fremdenfeindlichen Tiraden der Demagogen von Pegida und AfD, angesichts der Bereitschaft im Publikum, den Parolen zu folgen und irrationales Wutmenschentum auszuleben, ist die Frage nach der Gefahr des Rechtspopulismus für die Demokratie leicht zu beantworten. Demagogen sind gefährlich, denn sie sind intolerant, undemokratisch und zerstörerisch.
Gegen irrationale Demagogen hilft nur Vernunft. Notwendig ist stetige Aufklärung mit dem Ziel, Einsicht in schwierige Zusammenhänge zu gewinnen, um rational mit Problemen umzugehen, auf Vernunft und Logik gegründete Politik zu treiben und zu verstehen. Das ist immerwährendes Gebot des Zusammenlebens. Aufklärung ist eine Haltung, kein schnell wirkendes Wundermittel. Gegen den Krakeel Ratloser, Verführter, habituell Unzufriedener, die sich von Populisten gängeln lassen, hilft keine einmalige Anstrengung, kein „Aufstand der Anständigen“, kein Ruck, keine Aufwallung, sondern nur stetige und alltägliche Aufklärung als demokratisches Prinzip. Das ist mühsam aber erfolgreich, wie die bisherige deutsche Geschichte nach Hitler lehrt. Vernunft, Toleranz, Offenheit muss aber jeden Tag aufs Neue durchgesetzt werden.
Politiker sind ratlos angesichts des Zuspruchs, die die von Pegida in der Gassenversion und von der AfD in der salonfähigeren Ausgabe organisierte Fremdenfeindschaft findet. In der Absicht zu provozieren und zu polarisieren werden die Essentialien unserer Demokratie – Toleranz, Liberalität, Offenheit, Kompromissfähigkeit – abgelehnt. Ein wesentlicher Grund liegt im seltsamen Demokratieverständnis des Rechtspopulismus. Empörung über die antiliberale, antieuropäische, nationalistische, rassistische und xenophobische Botschaft hilft ebenso wenig wie Anschmiegen und Trösten. Dem diffusen Unbehagen, das die Anhänger von Pegida und AfD unter dem gemeinsamen Nenner der Islamfeindschaft zur Schau tragen, ist mit Gelassenheit, und demokratischen Argumenten, aber in aller Entschiedenheit zu begegnen. Das wollen wir gemeinsam tun, mit dem Ziel einer demokratischen, multikulturellen, offenen, solidarischen Gesellschaft.