Özlem Nas – Schura Hamburg
Kein Einzelfall. Kein Vergessen. Kein Schweigen.
Wer Rassismus wirksam bekämpfen will muss hinsehen, zuhören, sich solidarisieren und sich Gehör verschaffen. Laut und deutlich!
Süleyman Tasköprü wurde kaltblütig ermordet und aus dem Leben gerissen. Er wurde Opfer rassistischer Gewalt in Hamburg. Süleyman Tasköprü war nicht deutscher Herkunft. Er war nicht weiß. Er ist kein Einzelfall.
Die NSU mordete jahrelang und riss eine Person nach der anderen aus dem Leben, die Ermittlungen der Polizei richteten sich gegen „südländische Typen“, gegen die Familien und gegen das Umfeld, man sprach von Döner Morden, die Medien taten eifrig das ihre dazu – insbesondere die Springer Presse. Durch eine überwiegend negative stereotypisierte Darstellung schaffen und reproduzieren eine Vielzahl von Medien Vorurteile und beeinflussen damals wie heute, wie Minderheiten gesehen werden.
Es ist der 20. Todestag von Süleyman Tasköprü und noch immer sind viele Fragen bis heute unbeantwortet. Eine lückenlose Aufklärung? hat nicht stattgefunden. Es gibt keinen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Aufklärung in Hamburg.
Süleyman Tasköprü ist kein Einzelfall, der NSU Komplex reiht sich ein in den Rassismus von Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Mölln, Solingen, Halle, Hanau! Es handelt sich nicht um Einzelfälle, wenn Menschen in unserer Gesellschaft gezielt wegen ihres Andersseins, ihres Glaubens oder ihrer Hautfarbe angegriffen werden.
Behörden haben nicht zum 1. Mal versagt, Familien wurden nicht zum ersten Mal in Stich gelassen, Fragen blieben nicht zum 1. Mal unbeantwortet. Institutionell, strukturell, Interpersonell– der Rassismus begegnet uns als BIPOC’s in vielen Formen und ist Teil unserer Alltagsrealität- die Ablehnung von Menschen, die als „Anders“ markiert werden reicht tief in die Mitte der Gesellschaft.
Seit Jahrzehnten werden in Deutschland auch muslimisch gelesene Menschen zur Zielscheibe von Hass, Diskriminierung und Übergriffen. Eines der schmerzhaftesten Beispiele ist Marwa el Sherbini.
Auch sie wurde kaltblütig ermordet von einem Rassisten – in einem deutschen Gerichtssaal, denn sie hatte gegen den Rassismus ihres Mörders geklagt. Auch sie wurde aus dem Leben gerissen – vor den Augen ihres Kindes – gemeinsam mit ihrem ungeborenen Baby. Auch bei ihr richtete sich die Erstreaktion der Polizei gegen ihr Umfeld – ihren Ehemann, der angeschossen wurde. Und auch dieser Umgang ist ein lautes Signal – er reflektiert die Bilder im Kopf, die zuallererst von der Minderheit als Aggressor ausgehen.
Das Leugnen und Kleinreden rechter Gewalt bei gleichzeitigem bedienen gruppenbezogen menschenfeindlicher Ressentiments zieht sich durch die deutsche Medienlandschaft, Politik, bis tief in die Mitte der Gesellschaft und bildet den Nährboden für Vorurteile, rechte Ideologien, Ablehnung und Hass.
Beleidigungen auf der Straße, Anfeindungen beim Einkaufen, in Bussen oder Bahnen, Ungleichbehandlung bei der Job- und Wohnungssuche und in Bildungseinrichtungen, Angriffe auf Gotteshäuser wie Moscheen oder Synagogen, wütende Hetze im Internet und immer wieder Gewaltdelikte gehören in Deutschland zum Alltag. Nur in Ausnahmefällen dringt das an die Öffentlichkeit. Es ist davon auszugehen, dass ein großer Teil rassistischer
Vorfälle nicht erfasst und behördlich verfolgt wird.
Um Rassismus sichtbarer zu machen richten wir als Islamische Religionsgemeinschaft Schura Hamburg eine Meldestelle gegen Antimuslimischen Rassismus ein. Der Rassismus soll dokumentiert, in einem Jahresbericht aufgearbeitet und in die Stadt hinein kommuniziert werden. Die Meldestelle soll am 1. Juli, dem Tag gegen antimuslimischen Rassismus, dem Tag an dem Marwa El-Sherbini ermordet wurde, starten. Dieser Tag steht für ein entschiedenes Eintreten für eine solidarische, demokratische, freiheitliche und offene Gesellschaft. Die Meldestelle trägt den Namen Marwa. Auch hier gilt: Kein Vergessen. Kein Einzelfall. Kein Schweigen.
Rassismus geht uns alle an. Es ist nicht nur ein Thema für Betroffene. Neben Aufklärung, Strafverfolgung und Prävention brauchen Betroffene Solidarität, nicht nur nach Gewaltdelikten, sondern dauerhaft.
Unser Dank geht an alle, die sich auch ohne eigene Betroffenheit rassismus- und machtkritisch für Minderheiten stark machen und sich gegen „white supremacy und racial profiling „ stellen – wir sehen euren Einsatz und wünschen uns mehr von euch!
• Ihr wisst, dass sich eure Lebensrealität von der Lebensrealität Rassismus- Betroffener unterscheidet. Es ist wichtig, dass ihr euer Privileg kennt und es einsetzt, in dem ihr aktiv macht- und rassismuskritisch handelt. In dem ihr Betroffenen zuhört, Rassismus offen anprangert und laut seid gegen Ungerechtigkeit, Hass und Gewalt!
• Unser großer Dank geht an alle, die sich macht – und rassismuskritisches Wissen aneignen und BIPOC’s unterstützen, indem sie ihre Bücher lesen, ihre Artikel konsumieren, ihren Podcasts und Ted Talks zuhören ihre Organisationen unterstützen!
• Wir BIPOC’s brauchen viel mehr Verbündete, die auf Macht- und Ungleichverhältnisse aufmerksam machen – mit dem Ziel diese zu überwinden!
Jede Stimme, die sich erhebt, Rassismus benennt und rassistischen Äußerungen und Behandlungen widerspricht, sei es auf der Straße, in den Medien, bei Behörden, Polizei und Politik, – jede Stimme, die ihr Umfeld sensibilisiert, sich positioniert und mit Zivilcourage interveniert ist eine Stimme mehr für ein Leben in Würde, Freiheit und Gerechtigkeit aller Menschen. Für eine solidarische antirassistische Gesellschaft!
Das sind wir Süleyman Tasköprü, Enver Simsek, Abdurrahim Özdogru, Habil Kilic, Mehmet Turgut, Ismail Yasar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubasik und Halil Yozgat schuldig! Das sind wir auch den Opfern aus Hanau, Halle, Mölln, Solingen, Hoyerswerda und Rostock- Lichtenhagen schuldig. Das sind wir Marwa el-Shernbini und allen die tagtäglich mit Rassismus zu kämpfen haben schuldig! Wir wollen eine Gesellschaft in der alle Menschen in Würde, Freiheit und Gerechtigkeit leben können! Rassismus geht uns alle an! Kein Einzelfall. Kein Vergessen! Kein Schweigen!